LOGOPÄDIE-Praxis

spezialisiert für Kinder im Vorschulbereich

Presse / Medien

«Ich weiss, dass sie es kann»

Adrienne Jenzer aus Vinelz hat eine Schwäche für sensible Kinder. Ihre Leidenschaft fürs Spielen hat sie zum Beruf gemacht.

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Humor und Zuversicht sind wichtige Elemente in der Therapie bei Adrienne Jenzer.

Aufgezeichnet: Nandita Boger /Bilder Pedro Rodrigues

 

Am Montag stehe ich um halb acht auf und beginne den Tag mit einer Riesentasse Milchkaffee. Zwei meiner vier Kinder leben noch zuhause, sie sind aber entweder schon bei der Arbeit oder sorgen für sich selber. Meistens gibt es am Montagmorgen etwas aufzuräumen und zu putzen, weil wir am Abend vorher Gäste hatten. Gestern haben wir den 28. Geburtstag meiner ältesten Tochter gefeiert. Es erstaunt mich, wie schnell die Zeit vergangen ist.

Seit 2002 bin ich freischaffende Logopädin. Mein erster eigener Fall war ein vierjähriges Mädchen, das so schlecht sprechen konnte, dass niemand es verstand. Ich wollte, dass die Kleine Vertrauen zu mir fasst und wirklich lernen will.

Durch meine Gelassenheit und meinen Humor überraschte ich das Kind, es liebte die Spiele und die damit verbundenen Übungen. Von da an ging es schnell, nach einem Jahr waren ihre Schwierigkeiten praktisch verschwunden. Ich probiere, jedem Kind einen Virus einzusetzen, der heisst «ich glaube an dich». Die Eltern haben es schwerer als ich, nicht, weil sie etwas falsch machen, sondern weil sie betroffen sind und sich dadurch mehr unter Druck fühlen.

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Dass ich gut mit Kindern umgehen kann und für mein Leben gerne spiele, sind die Hauptgründe, weshalb ich Logopädin geworden bin. Schon als Kind war ich eine begeisterte Spielerin. An schulfreien Nachmittagen war ich häufig draussen, suchte mir Spielkameraden und machte mit ihnen Bewegungs-, Geschicklichkeits- und Rollenspiele. Meine ganze Bewunderung galt damals meinem Kindergartenfreund, der mindestens 100 Schlümpfe hatte, mit denen wir Geschichten erfanden. In den Ferien mit meinen Verwandten war es für mich ein Vergnügen, Poker, Jazzy oder Gemsch zu spielen. Ich entwickelte Ehrgeiz und hatte Spass an den lustigen Momenten. Nun arbeite ich schon seit bald 27 Jahren als Logopädin und immer noch steht das Medium Spiel im Vordergrund.

Nachdem ich das Haus auf Vordermann gebracht habe, starte ich meinen Computer, lese Mails und schaue auf der Dropbox nach, ob neue Dokumente da sind. Durch meine Position im Vorstand des Berufsverbands Logopädie Bern habe ich im Moment viel zu tun. Ich sehe das als meinen Beitrag an die Öffentlichkeitsarbeit. Die Frühförderung ist sehr wichtig. Sie wird von freischaffenden Logopädinnen wie mir angeboten. Können die Kinder auch im Schulalter noch von freischaffenden Logopäden weiterbehandelt werden, bedeutet dies auch eine grosse Entlastung für die Schulen. Dieses System sollten wir beibehalten, auch wenn dadurch dem Kanton Mehrkosten entstehen. Dafür setze ich mich ein.

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Anschliessend an die Mails mache ich einige Anrufe bei Eltern, deren Kinder in der Abklärung bei mir sind. Es soll festgelegt werden, welche Therapie geeignet ist. In zwei Fällen sprechen die Eltern nicht gut deutsch und sind nicht informiert, welche Möglichkeiten es gibt. Darum habe ich angeboten, die Familie an die Informationsveranstaltungen der Sprachheilschulen zu begleiten. Wenn nicht so viel zu tun ist, gehe ich noch auf den Hometrainer oder das Trampolin, dusche und werde dann von meinem Mann zum Mittagessen gerufen. Es gibt ein Süppchen oder sonst eine gesunde Kleinigkeit für uns beide.

Um 14 Uhr bin ich in meinem Praxisraum in Brüttelen für die erste Stunde an diesem Nachmittag. Ich versuche es so anzupacken, dass das Kind gar nicht merkt, dass wir etwas üben. 
Typisch für mein Vorgehen ist, dass ich mit einem Element gleich mehrere Lernziele abdecke. Beispielsweise setzen wir einen Hüpfweg mit Puzzleteilen zusammen, üben damit einen Laut und erweitern gleichzeitig den Wortschatz. Wichtig ist mir, dass wir miteinander ins Spiel kommen und damit auch ins Gespräch. Ein Gefühlsbarometer an der Wand dient als Einstieg, er soll den Kindern helfen, über die eigenen Empfindungen zu sprechen. Und auch Wut, Ärger und Verunsicherung zuzulassen. Wir schauen Bücher an, die die Themen «klein bleiben wollen», oder «sich unsichtbar fühlen» behandeln. Meine Stärke ist die Therapie von Kindern mit selektivem Mutismus. Ich habe eine Schwäche für sensible Kinder. Egal, ob still oder laut.

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Ich erinnere mich noch gut an meine erste Patientin mit diesem Störungsbild. Ich war als Stellvertreterin der Logopädin in einer Kindergartengruppe mit einem solchen Mädchen. Die Kinder warnten mich: «Die redet nicht mit dir.» Ich erwiderte: «Ich weiss, dass sie reden kann, aber vielleicht will sie gerade nicht.» Der Blick, mit dem mich das Mädchen anschaute, war eine Sternstunde für mich. Als hätte ich tief in ihr Inneres geblickt, sie war voller Vertrauen. Ich gebe den Kindern das Gefühl, dass sie so, wie sie sind, gut und normal sind. Jeder hat mal keine Lust zu sprechen. Den Eltern sollte bewusst sein, dass die Bandbreite der Normalität gross ist. Das hilft, gelassen zu bleiben.

Die Montagabende verbringe ich in meiner Stepptanzgruppe. Mich fasziniert der Rhythmus. Es ist nicht nur Gehirnjogging, nach sechs Jahren kann ich es so gut, dass ich dabei ins Schwitzen komme.

Adrienne Jenzer, Logopädin